Seit mein Interesse für Schaufensterfiguren vor bald 20 Jahren geweckt wurde, fragte ich mich manchmal, woher die Entwickler und Produzenten die Ideen für die Posen, für die zum Teil „eingefrorenen“ Bewegungen der Mannequins haben. Setzen sie sich in ein kleines Café am Rande eines belebten Boulevards in einer Grossstadt, oder beobachten sie Menschen bei einer Grossveranstaltung, bei der möglichst viele, unterschiedliche Gestalten innerhalb kurzer Zeit ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen? So manche Catwalk-Ikone stand schon John Taylor, dem Bildhauer von Adel Rootstein, Modell und auffallend oft, ähneln die Posen der Grazien aus Fiberglas den Endpositionen der echten „Gazellen“ auf dem Laufsteg, bevor es im eleganten, schwebenden Schritt wieder zurück hinter die Bühne geht. Wenn man also eine Karen Mulder besitzt und ein wenig recherchiert, findet man Fotos von ihr aus den 90er-Jahren, auf denen sie in der beinahe identischen Körperhaltung vor grossem Publikum steht und die Mode eines berühmten Designers präsentiert. Aber wie ist das bei Hindsgaul? Ausser Angie Hill, hat dieser Hersteller praktisch keine realen Menschen als Vorbilder für die Produktion von Mannequins verwendet. Also über welchen Weg liessen sich die Designer inspirieren? Wir wissen es nicht; wir können nur spekulieren. So erscheint mir die folgende Überlegung zwar einleuchtend, aber es bleibt eine Vermutung, da es dazu keine gesicherten Belege gibt.
Nicht nur Haute Couture boomte in den 80er-Jahren, sondern Mode auf breiter Linie, also auch Strickkode zum selber machen. „Burda“ und „Carina“ waren zwei dieser Zeitschriften, die begeisterte Näherinnen und Strickerinnen sich regelmässig kauften; und noch heute bekommt man auf ebay Exemplare von damals.

Kürzlich entdeckte ich dieses Foto einer „Carina“-Zeitschrift vom Juni 1983 und erinnerte mich natürlich sofort an meiner Kinderpuppe, die ich habe.

Es ist eine Hindsgaul 2403 in einem sehr guten Zustand, wobei das Datum der Produktion auf der inneren Fläche der Beinabschlussplatten gestempelt ist. Diese Figur wurde also am 06.03.1989 produziert.


Lanciert und erstmals auf den Markt gebracht, wurde die „Kids“-Serie von Hindsgaul aber bereits 1984, also wenige Monate nach der Veröffentlichung der „Carina“-Zeitschrift.

Handelt es sich hier aufgrund der frappanten Ähnlichkeit der Posen von dem Mädchen auf dem „Carina“-Titelblatt und dem Mädchen aus der Serie „Kids“ von Hindsgaul um reinen Zufall? Sind es sehr typische Körperhaltungen von Kindern, wenn sie auf etwas warten, etwas beobachten, oder einfach entspannt posieren möchten? Oder hat das Hindsgaul-Designteam aus Dänemark auch deutsche Strickpostillen gekauft, um sich von den Bildern inspirieren zu lassen? Möglich wär’s, auch würde ich sehr gerne den Weg wissen, wie die Idee von der Inspirationsquelle genährt, sich verfestigt und dann (wie im vorliegenden Fall) zur mutmasslichen Entscheidung führt: „Tolle Pose in der ‚Carina‘! Machen wir auch!“
