Die Einen schreiben „Twenty2“, wieder andere „Twenty two“; ich bevorzuge die originale Schreibweise „Twenty2“, wenn damit die wunderschöne Mannequinserie von Hindsgaul aus dem Jahre 1972 gemeint ist:
flickr, Serge O, Hindsgaul Katalogseite Twenty2
Während im selben Produktionsjahr die Serien „Maxime“ und „Gazelle“ entstanden, die eher Frauen über Dreissig verkörperten, wollte man dem Trend anfangs der 70er-Jahre nachkommen und das junge Publikum ansprechen, bei denen Freizeit, Sport, Spiel und Spass im Vordergrund standen. Im Zuge der gesellschaftlichen Umwandlung, welche die Popkultur der 60er-Jahre mit sich brachten, begann sie sich im Grunde erst anfangs der 70er-Jahre zu etablieren und sich verbreitet ins Bewusstsein des Volkes (lat. „populus“, woraus „Pop“ abgeleitet ist) einzugraben. Dem Wesen nach wurden den bis Mitte der 60er-Jahre noch gültigen, konservativen Werten durch die neue Befreiungsbewegung eine deutliche Absage erteilt. Die Rolle der Frau bekam eine neue Definition und im Zuge der Emanzipationsbestrebungen wurde sie auch zunehmend selbst bestimmt. Durch die sexuelle Revolution, welche diese Zeit prägte, keimten parallel dazu neue Ideologien auf, die vom Durchbrechen herrschender Konventionen motiviert waren. Dazu gehörten vor allem Offenheit und Toleranz innerhalb demokratischer Strukturen, aber auch Trends, in denen es um ein Zeitempfinden ging. Popkultur ist demnach ein Begriff, der sich auf ein jeweiliges Gefühl der breiten Gesellschaft innerhalb der Grenzen industrialisierter Staaten bezieht, weshalb sie auch international und grenzüberschreitend in vielfältiger Hinsicht ist. Vergleicht man die Posen und die Gestik der Mannequins aus den früheren Serien mit denen der „Twenty2“ von Hindsgaul, sind grosse Unterschiede erkennbar. In der Serie „On the seaways“ von 1968 gibt es zwar auch schon eine lachende Figur, aber diese darf als Vorläuferin der darauffolgenden Entwicklung gesehen werden, die leider nicht lange anhielt. Viele der „Twenty2“-Schaufensterfiguren schmunzeln, oder lachen, wirken ungehemmt, fröhlich und aufgeschlossen. Das macht sie auch für Sammler sehr beliebt. Frühere Modelle präsentierten sich eher zurückhaltend, in einer statischen Pose verharrend. Die Figuren von „Twenty2“ sind (wie bei der „Gazelle“) Momentaufnahmen, zum Teil während einer Bewegung. Sie verkörpern den Zeitgeist des Aufbruchs in eine der spannendsten Epochen der Menschheit, in welcher der Glaube an eine Zukunft ohne soziale und technische Schranken vorherrschte, befreit von Konventionen, unbegrenzt.
Im Mannequinkatalog der Serie „Twenty2“ von 1972 ist eine Szene in einem Eisstadion nachgestellt, wo Eishockeyspieler als lebende Menschen zwei Schaufensterfiguren mit den Seriennummern 7106 und 7114 halten. Das gab es in vergleichbarer Weise bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Situation wirkt sehr dynamisch. Hinter der Bande sind Zuschauerinnen und Zuschauer, u.a. das Mannequin mit der Seriennummer 7109, die ich kürzlich in einem Inserat entdeckte und in meine Sammlung integrieren konnte.
Sie lächelt und blickt über ihre linke Schulter, während sie aufrecht steht und das rechte Bein etwas angewinkelt ist. Die Beinstellung ist mit der Figur Nr. 7107, 7108 und 7110 identisch. Nur die Stellung der Arme, die Ausrichtung des Kopfes und der Ausdruck im Gesicht differieren. Wie bereits im Artikel über die Serie „On the seaways“ erwähnt, sind in dieser Periode der Herstellung von Schaufensterfiguren bei Hindsgaul, die einzelnen Teile untereinander kompatibel gewesen, weshalb manchmal von Dekorateuren diese beliebig vertauscht wurden. Es ist aus diesem Grund sehr schwierig, Mannequins mit den vollständigen Originalteilen zu finden, wie man an meinem sehen kann. Für die Aufnahmen wählte ich diese Armstellung, obwohl ich zwei unterschiedliche Sätze mit der Lieferung bekam, bei denen der linke, angewinkelte Arm dabei ist. Für die Fotos fand ich aber diese Variante schöner:




Das Mannequin mit der Seriennummer 7115 habe ich ebenfalls in meiner Sammlung, aber sie ist in einem Zustand (so gekauft), bei dem ein Make-Over ratsam ist.
flickr, Sergo O, Hindsgaul „Twenty2“, Nr. 7111 und 7115
Die Mannequins 7111 und 7115 sind auch im Originalkatalog sehr sinnlich und sexy abgebildet. Ich habe mir von einem Sammler sagen lassen, dass die Serienbezeichnung „Twenty2“ eine Herleitung aus dem Alter des Zielpublikums ist: Zweiundzwanzig Jahre alt. Man wollte die dynamischen Twens ansprechen.
Bei diesem Prospektbild (oben) sind die Figuren seitenverkehrt abgebildet!

Was ich an meiner sitzenden Hindsgaul „Twenty2“ so speziell finde, ist ihr feines, verschmitztes Lächeln, das ich gerne mit demjenigen von Leonardo da Vinci’s „Mona Lisa“ vergleiche. Dieses hat den geheimnisvollen Zauber in sich, welcher diese Figur umgibt. Hintersinnig lächelnd, scheint sie etwas zu wissen, oder zu ahnen, was sie aber nicht preisgeben will. Deshalb finde ich, bei einem Make-over müsste darauf geachtet werden, diese Individualität und Eigentümlichkeit im Gesichtsausdruck unbedingt zu bewahren, die vergleichbar auch bei der Figur 7111 zu erkennen ist. Mona Lisa’s Lächeln ist legendär und weltberühmt. Jenes von der Hindsgaul „Twenty2“, mit der Seriennummer 7115, ebenso unergründlich. Im Katalog sitzt sie paarweise links neben der männlichen Schaufensterfigur 758 und sie blickt in seine Richtung, scheint ihre Aufmerksamkeit ihm zu widmen. Hört sie zu? Was denkt sie?
Die Welt: Deutsche Mediziner lösen Rätsel um Mona Lisa’s Lächeln
Die arrangierten Szenen im Katalog von 1972 widerspiegeln das Gefühl: „Mir macht das Leben Spass, ich bin glücklich.“
Was könnte noch besser den Zeitgeist der ausklingenden 60er-, an der Schwelle der 70er-Jahre wiedergeben, als der Kultfilm „Easy rider“ mit Peter Fonda und Dennis Hopper? Hindsgaul’s Serie „Twenty2“ trifft genau die Lebensanschauung, mit den herrschenden Konventionen zu brechen, in der Motorradszene im Katalog von 1972 (s. unten). „Born to be wild.“ sang die Popgruppe „Steppenwolf“ im Film.
Motorrad fahren wurde zum Freizeitspass und dieses Vergnügen nannte man „Sport“, was auch im Begriff „Sportflugzeug“, also zum Spass mit dem Kleinflugzeug am Himmel kreisen, gemeint ist. Die Interpretation von Hindsgaul, mit „Twenty2“-Mannequins:
Starauftritt der Hindsgaul-Mannequins aus der Serie „Twenty2“ mit lebenden Menschen, beim Fototermin im Studio. Die absolute Trendfarbe anfangs der 70er-Jahre war orange.
Eine sehr schöne, lachende „Twenty2“, neu restauriert, besitzt der Sammlerkollege Serge:
flickr, Serge O., Hindsgaul „Twenty2“
Zudem die Quelle:
History of mannequins in pictures (Blog)